Naturphilosophie
Naturphilosophie ist derjenige philosophische Bereich, dessen Gegenstand die Natur, das Wissen von ihr und das Verhältnis des Menschen zu ihr ist. Sie steht am Anfang der abendländischen Philosophie und ist heute vor allem durch die stürmische Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik sowie durch die Umweltproblematik motiviert.
Wird Natur erfahrungswissenschaftlich verstanden, können sich die Aufgaben der Naturphilosophie mit denen anderer Disziplinen überschneiden (z. B. Ökologie, Wissenschaftsphilosophie, Bioethik). Natur ist aber auch als Gegenstand der nichtwissenschaftlichen (z. B. lebensweltlichen, ästhetischen, religiösen) Erfahrung Thema der Naturphilosophie. Im Unterschied zu nichtphilosophischen Disziplinen, die sich mit Natur befassen (z. B. Physik, Biologie) steht in der Naturphilosophie die Bestimmung des Naturbegriffs im Vordergrund.
Das erst im 18. Jahrhundert aufgekommene Wort „Naturphilosophie“ ist eine Verdeutschung von „philosophia naturalis“, dem seit der Antike gebräuchlichen Namen für die philosophisch-wissenschaftliche Lehre von den sinnlich-wahrnehmbaren Dingen. Ursprünglich synonym mit „Metaphysik der Natur“ und „Philosophie der Natur“ wurde es gegen Anfang des 19. Jahrhunderts zunehmend zur Charakterisierung von spekulativen Naturauffassungen der romantischen und idealistischen Philosophie verwendet. Es wird damit noch heute mitunter gleichgesetzt und hat in dieser Bedeutung als unübersetzter Ausdruck in fremdsprachige Terminologien Eingang gefunden. Im Verlauf des letzten Jahrhunderts sind vermehrt die inhaltlichen Bestimmungen der Naturerkenntnis und die praktischen Probleme im Umgang mit der Natur zu ihren Aufgaben gerechnet worden.
Die Geschichte der Naturphilosophie wird üblicherweise auf den Kontext der abendländischen Philosophie beschränkt. Philosophische Theorien der Natur haben sich in Europa vornehmlich in bestimmten Zeitabschnitten entwickelt, wobei die Periodisierung durch die Herausbildung der neuzeitlichen Naturwissenschaft eine charakteristische Zweiteilung erfährt: Vereinigte die vorneuzeitliche Naturphilosophie religiöse, philosophische und erfahrungswissenschaftliche Erkenntnis, so hat die neuzeitliche Naturwissenschaft von Anfang an eine eigenständige Thematisierung beansprucht, die ausgehend von experimentellen Erfahrungen und mathematischen Modellvorstellungen zu Begriffs- und Theoriebildung gelangt. Als große vergangene Epochen der Naturphilosophie gelten die Vorsokratik, die Renaissance und frühe Neuzeit sowie der Deutsche Idealismus.
Zur Naturphilosophie und zu ihren Aufgaben sind von der Antike bis in die Gegenwart hinein die unterschiedlichsten Positionen vertreten worden. Sie reichen von der grundsätzlichen Ablehnung einer naturphilosophischen Erkenntnis bzw. Disziplin (z. B. Platon, F. Engels) bis zu ihrer Erhebung in den Stand einer philosophischen Fundamentallehre (z. B. Aristoteles, F. J. W. Schelling). Gegenwärtige positive Aufgabenbestimmungen verstehen unter Naturphilosophie oftmals nur eine spezielle Richtung der theoretischen Philosophie. Unter dem Eindruck der Umweltproblematik haben aber auch verstärkt die praktischen Fragestellungen Eingang gefunden. Zusätzlich scheint es zweckmäßig, die Thematisierung ästhetischer Erfahrungen von Natur als gesonderten Bereich aufzunehmen. Eine Dreiteilung der naturphilosophischen Aufgaben in einen theoretischen, praktischen und ästhetischen Bereich übernimmt die traditionelle Gliederung der Philosophie. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass Naturphilosophie nur bedingt über einen eigenen Methodenkanon verfügt und deshalb meist als angewandte Philosophie gelten kann. Ein Großteil der gegenwärtigen naturphilosophischen Forschung befasst sich in und neben den genannten Bereichen schließlich mit der Geschichte der Naturphilosophie. In diesem Zusammenhang sind zahlreiche Einzelstudien, aber in neuerer Zeit keine umfassenden historischen Darstellungen erschienen.
Wie der Begriff der Philosophie nicht in der professionellen Wissenschaft aufgeht, so wird auch der Ausdruck „Naturphilosophie“ mit nichtakademischen Konzeptionen und Strömungen verbunden. Im Vordergrund stehen hierbei Fortführungen der sogenannten „New Age-Bewegung“ und ökologisch orientierte Reflexionen auf Natur. Neben holistischen Naturtheorien und der von J. Lovelock und L. Margulis entwickelten Gaia-Theorie, die die Erde als Quasi-Lebewesen versteht, bildet der Spiritualismus (G. I. Gurdijeff, Rudolf Steiner und andere) den wichtigsten Anknüpfungspunkt für die New Age-Bewegung. Ihr zufolge zeichnet sich in unserer Zeit der epochale Wandel vom gegensätzlich zum harmonisch verfassten Naturbild ab. Ökologische Naturphilosophie ist als nichtakademische anzusehen, wenn sie sich als Teil politischer Bewegungen und als Anleitung zur individuellen Lebensgestaltung artikuliert wie bei der auf Arne Naess zurückgehenden „Deep Ecology“ und der besonders in den USA verbreiteten öko-feministischen Richtung (C. Merchant, V. Plumwood).
Gregor Schiemann
(Zitiervorschlag: Schiemann, Gregor 2012: Naturphilosophie [Version 2.0]. In: Kirchhoff, Thomas (Redaktion): Naturphilosophische Grundbegriffe. www.naturphilosophie.org.) Copyright beim Autor.
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Weiterführende Literatur
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- Ayala, Francisco J./Arp, Robert (Hg.) 2010: Contemporary debates in philosophy of biology. Malden, Blackwell.
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- Birnbacher, Dieter 1997: Ökophilosophie. Stuttgart, Reclam.
- Böhme, Gernot 2002: Die Natur vor uns. Naturphilosophie in pragmatischer Hinsicht. Kusterdingen, Die Graue Edition.
- Breil, Reinhold (Hg.) 2000: Naturphilosophie. Freiburg/München, Alber.
- Drieschner, Michael 2002: Moderne Naturphilosophie. Eine Einführung. Paderborn, Mentis.
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- Esfeld, Michael 2002: Einführung in die Naturphilosophie. Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
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